Die Wahl am nächsten Sonntag scheint noch Raum für Überraschungen zu bieten. Signale der SPD und ihres Spitzenkandidaten „Wir können Opposition und wollen das machen“ sind unübersehbar. Das Verschwinden der FDP in den außerparlamentarischen Raum ist absehbar. Da bietet sich eine Koalition an, die bisher auf wenig Gegenliebe in den politischen Medien und der Bevölkerung stößt. Wobei das Zweite durch das Erste bedingt wird. Ich sehe das differenzierter.
Perspektive in Schwarz-Grün?
Koalitionen sind Kompromisse, Zweck-Gemeinschaften der kleinsten gemeinsamen Nenner und der programmatischen Schnittmengen. Diese Grundlage scheint bei Schwarz-Grün marginal zu sein. Keine tragfähige Basis, aber gerade dies ist Chance und nicht Hindernis.
Partner auf Zeit müssen als Basis gemeinsame Projekte suchen. Projekte, die Zuspruch in der Bevölkerung erhalten. Projekte, die der eigenen Programmatik nicht entgegen stehen. Das bedeutet Neuland zu betreten. Gesellschaftliche und technologische Bereiche jenseits der gewohnten und ausgetretenen Denkpfade. Ein Aufbruch ins Neue ist damit zwingend. Altbewährte und vorbelastete Bereiche sind dann nur schwer auf eine gemeinsame Linie zu bringen.
Eine schwarz-grüne Koalition wird die Flügel am Rand jenseits der Mitte noch mehr an den Rand drängen. Dabei verlieren sie ihre Bedeutung. Sowohl der reaktionäre Flügel der CDU, als auch der esoterisch, fundamentalistische der Grünen würden der Koalitionsdisziplin zum Opfer fallen. Die CDU würde zu nachhaltigeren Konzepten gezwungen. Die Grünen wären das Regulativ. Ein Element, das nicht Auswüchse verschlimmert, wie die FDP. Sondern gleich einem modernen Fahr-Assistenten die Regierung in der Spur Richtung Jetztzeit hält. Es wäre das Gegenteil von Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Bei denen es in eine bestimmte Richtung so viel Drive gibt, dass sie über die Kante des Sinnvollen hinaus schießt. Dafür in anderen Bereichen gar nichts bewegt.
Schwarz-Grün kann einen Zustand konstruktiver Balance erreichen
Die Parteienlandschaft und die Zukunft der Demokratie könnten ebenfalls profitieren. In dieser Konstellation würden die Grünen weniger Einbußen erleiden. Ihre Anhänger würden Fehlleistungen der CDU zurechnen und den Kampf der eigenen Leute honorieren. Umgekehrt könnte das CDU Präsidium alle Stolperer dem Zwang zur Koalition anlasten. Eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung würde sich verlagern und nicht der Demokratie an sich angelastet werden. Der Zulauf zu extremistischen, nationalistischen oder volksverdummenden Parteien würde nachlassen.
Und dann gibt es noch eine unerkannte und unerwähnte Gemeinsamkeit von Schwarz und Grün. Die Grundüberzeugung, dass der Mensch über sein eigenes Geschick die Kontrolle hat. Dass die Gesellschaft dahin entwickelt werden muss, dies voll umfänglich zu ermöglichen. Nicht der Mensch ist Teil des Staates, sondern der Staat ist ein Instrument, um den Menschen das Mensch-sein zu ermöglichen.
Wer verliert?
Leidtragender der Entwicklung wäre neben den Parteien im grauen Balken der Wahlstatistik rechts außen, in den wahrscheinlich auch die FDP einzieht, vor allem die SPD. Sie würde an Bedeutung verlieren, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, politischer Arm der Gewerkschaften zu sein, diese Aufgabe wächst schon jetzt der Linkspartei zu. Besinnen sich auch noch die Gewerkschaften, dass ihre Hauptaufgabe im Tarifkampf und in der Durchsetzung von Arbeiterrechten ist. Dass diese Aufgabe nicht von Linke oder SPD im Parlament durch Einführung eines Mindestlohns erledigt wird. Dann käme auch wieder Bewegung in die Entlohnungssituation.
Im Moment warten die Gewerkschaften darauf, dass die Politik liefert. Es ist aber Aufgabe und Verantwortung der Gewerkschaften notfalls mit einem Generalstreik einen Mindestlohn für alle Branchen und Regionen durchzusetzen.
Ein Gegenargument
Die Grünen sind genauso kirchennah wie die CDU/CSU und die SPD. Eine Forcierung der Säkularisierung und ein Zurückdrängen der republikfeindlichen Kleriker ist nicht zu erwarten.
Wenn ein Vertreter des Pontificium Consilium pro Laicis im ZDF ungehindert sagen kann, „der Staat ist auf Werte angewiesen, die er selbst nicht produzieren kann“. Und er mit dieser Aussage die staatliche Förderung kirchlicher Aktivitäten durch den Staat begründet. Dann ist das kirchennahe Politik fern der säkularen Leitkultur.

Darin liegt eines der Kernprobleme, die religiösen Gemeinschaften definieren an dieser Stelle unwidersprochen einen kastrierten Staat ohne wertbildende Fähigkeiten. Einen Staat, der ohne eigenes Ethos ist. Ohne Möglichkeiten Moralvorstellungen zu formulieren. Nicht in der Lage sei dies in die Gesellschaft zu tragen. Dieser Anspruch der Kirchen auf das Monopol in der Wertebildung schwächt den Staat. Sie spricht ihm eine zentrale Eigenschaft seines Seins ab und ist agiert staatsfeindlich. Unser Staat ist eine Republik mit eigener Rechtsstaatlichkeit und allen philosophischen, moralischen, ethischen und sozialen Implikationen des Rechts- und Republikbegriffs. Er kann diese Werte über seine Organe verkörpern und über sein Bildungssystem vermitteln. Auch ganz ohne Religion.
Dass sich die CDU nicht gegen diese Positionen erhebt und für den Staat und seine demokratisch definierten Werte einsteht ist erwartbar, aber dass die Grünen hier keine aufgeklärte Position beziehen ist enttäuschend, aber aus ihrer Geschichte verständlich. Da sieht man den Raum, der sich der Piratenpartei bieten kann, wenn sie ihre säkularen und laizistischen Positionen deutlicher herausarbeitet.
Und sonst?
Aber solange die Piraten kein Mandatsanzahl haben um regierungsbildend und gestalterisch tätig zu werden, so lange ist Schwarz-Grün eine Koalition, die am piratigsten von allen möglichen Kombinationen ist.
Schlamm mag zuerst wüst und eklig aussehen, aber er ist fruchtbar. Er wäre ein Nährboden für neue Ideen und neue Wege. Und Koalitionsverhandlungen als Schlamm-Schlacht zu bezeichnen, ich freu mich drauf.