Die Bundestagswahl des Jahres 2013 brachte in großen Zügen das erwartete Ergebnis. Wenn auch deutlicher in der Botschaft und knapper in den Prozenten als vorhersehbar. Und es war nach dem Entstehen der Grünen und dem Einzug der Linkspartei die dritte große Verwerfung in der deutschen Parteienlandschaft. Sowohl die Abstrafung der FDP bis zur Bedeutungslosigkeit, als auch der Aufstieg der AfD sind ein Signal. Zeichen einer erstarkenden antieuropäischen Bewegung, die sich in einem Kampfbund hinter Bernd Lucke sammelt. 

Abschneiden Merkels und ihrer Kanzlerwahlvereine CDU und CSU

Merkel hat die CDU aus einem behäbigen Panzerkreuzer mit Rechtsdrall in eine Badeinsel mit Palme umgebaut. Und dieses Pflanze treibt wohin sie der Wind des Zeitgeistes weht. Happyness, Chillen und jeder kann zusteigen, das ist ihr Konzept. Was den Leuten Spaß macht wird als Thema in die Bar gepackt und nach ihren Rezepten gemixt und ausgeschenkt. Politik-Cocktail nach Trend-Guide. Manchmal auch mit Überraschungsmix wie Energiewende doppelt gequirlt oder Brit Mila Medieval Style.

Dazu kommt, dass sie meint, dass auch der Süden Europas Bekanntschaft mit den Ideen ihres Vorgängers und dessen Beraters Herrn Hartz machen sollten. Das Endziel ist die Verhartzung Europas. Man muss manchmal fürchten, dass auch die Verriesterung noch kommt. Obwohl, solange man die griechischen Staatsschulden mit dem Privatvermögen der Griechen aufrechnet und dann im Durchschnitt mehr herauskommt als bei der gleichen Rechnung in Deutschland, solange gibt es einen Anlass diese Idee weiterzuverfolgen.

Der einzige reaktionäre Anker der CDU, der Merkel an der endgültigen Anpassung der Union an den Mainstream und die Anforderungen der Jetztzeit abgehalten hat, der Hesse Bouffier, hat am gleichen Wahlabend vergleichsweise erbärmlich abgeschnitten und wird möglicherweise auch nicht wieder Ministerpräsident. Die Biedermeierfraktion der CDU hat an Bedeutung verloren. Die Modernisierer und Merkelianer sind jetzt bereit für den Einzug nach Neuland.

Keiner von Merkels Amtskollegen in den großen Ländern der EU wurde seit Beginn der Finanzkrise wiedergewählt. Und warum, weil die den Spruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ nicht berücksichtigt haben. Und auch nicht die Merkel’sche Erweiterung „Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben erst recht.“

Abschneiden der vormals liberalen vormaligen Regierungspartei FDP

Wie schon in Bayern kam es zu einer massiven Abwanderung von Wählerinnen, die 2009 noch für die FDP gestimmt haben. Nach ersten Einschätzungen sind es statt über 4 Millionen Zweitstimmen von Frauen nur noch eine halbe Million, während bei den Männer die absolute Stimmenzahl nur um ein Drittel eingebrochen ist.

Die FDP war die traditionelle Partei der intellektuellen Frau und zeigte das viele Jahrzehnte dadurch, dass sie als kleine Partei mehr Frauen in Spitzenämtern hatte als alle anderen zusammen. Dann kamen die Grünen mit höherem Frauenanteil und nebenher haben sich die anderen Parteien ebenfalls entpatriarchalisiert. 

Und was macht die FDP? Ernennt Brüderle zum Spitzenkandidaten. Das hat den Aufschrei direkt provoziert.

Und der Rest der Truppe? Gibt es da Ansätze für etwas, das man im 21. Jahrhundert noch liberal nennen kann, liberal im Sinne von „liberaler als der Mainstream“? Oder ist es nicht liberal im Sinne von „Konservieren der liberalen Gedanken des 20. Jahrhunderts“? Man könnte sich auch die Entwicklung der liberalen Idee von Heuss über Flach zu Baum betrachten, wobei letzterer schon vor Jahren vor Datenschnüffelei warnte und die heutige FDP in Sachen PRISM und TEMPORA fast unsichtbar war.

Hier hat die FDP sowohl Aktive als auch Wähler an die Piraten verloren und an die Nichtwähler. Auf der anderen Seite hat sie massiv nationalkonservative und NeoCons an die AfD abgegeben, die sich immer mehr zu einem Pendant der neofaschistischen amerikanischen GOP, den US-Republikanern, entwickeln.

Abschneiden der Wir-zeigen-der-großen-Koaltion-den-Stinkefinger SPD

Der älteste der deutschen Parteien fängt man an dieses Alter anzumerken. Sie macht es sich bequem und meint sie hängt ihre Programmpunkte in die Auslage und die Wähler haben gefälligst zu kommen und das Angebot wahrzunehmen. Dass man noch ein paar Ladenhüter im Programm hat nimmt man in Kauf, sucht auch nicht nach zeitgemäßem Ersatz oder sogar zusätzlichen Ideen. Nein, panisch hält man an überkommenen Versatzstücken fest, man könnte ja Wähler vergraulen, denen ausgerechnet jenes antike Stück ans Herz gewachsen ist.

Das ist nicht lebendige Sozialdemokratie, sondern das Museumsdorf der Arbeiterbewegung. Dabei in ständiger vermeintlicher Konkurrenz mit der Linkspartei, wer wohl der bessere innerparlamentarische Arm der Gewerkschaften ist. Doch dazu mehr bei der Linken.

Und scheinbar unbemerkt schleppt man den Nicht-Ausschluss Sarrazins als neue Erblast mit sich herum. Damit hat sich die SPD eine historische Schuld aufgeladen und reaktionäre Weltfremdheit salonfähig gemacht. Statt die argumentative Auseinandersetzung aufzunehmen, hat man es vorgezogen vornehm zu schweigen. Damit hat man der AfD das Politikfeld bestellt, auf dem diese nur ihre Furchen ziehen musste.

Die LINKE verirrt am Rand

Die Linke hat ebenfalls einen Einbruch erlebt und Wähler abgegeben. Neben der FDP war sie der große Geburtshelfer der AfD und muss sich selbst die Frage stellen, welche Wähler hat sie da früher gebunden und wie hat sie diese ideologisch betreut.

Daneben führt sie immer noch zweifelhafte politische Existenzen wie Modrow als Vorsitzenden des Ältestenrats in honoriger Position. Da verhält sie sich sogar unkritischer als die CDU gegenüber Hans Filbinger. Dazu kommen noch aktuelle politische Positionen der seltsamen Art, wie der NATO-Austritt, bei dem man dann schutzlos einem Angriff der USA ausgesetzt wäre und nicht wie Frankreich auf atomare Abschreckung setzen kann. Will die Linke ernsthaft, dass wir dann selbst atomar aufrüsten? Oder dass sich Frankreich in Solidarität mit uns gegen die USA stellen? Derartige Positionen sind nicht grenzwertig, sie sind grenzüberschreitend.

Dann setzen sie sich für das Senken des Renteneintrittsalters ein, womit automatisch eine Erhöhung der Beiträge und ein Senken der Renten verbunden wäre. Denn einerseits würde die Zahl der Rentenempfänger steigen, was höheren Finanzbedarf und damit höhere Beiträge erfordert. Andererseits würden dadurch gerade die Beschäftigten mit hohen Einkommen nach langem Berufsleben früher ausscheiden und damit würde sich der durchschnittliche Nettolohn vermindern auf dem die Berechnung der Rentenanpassung beruht. Eine Rückkehr zur Rente-mit-65 würde zusätzliche Nullrunden bedeuten.

Bei der Staatsbürgerschaft vertritt auch die Linke noch das archaische Prinzip der nationalstaatlichen Staatsbürgerschaft, die man dann für mehrere Staaten innehaben kann. Abgesehen von den juristischen Problemen, der mehrfachen Wahlberechtigung und eventueller sozialer oder militärischer Pflichtdienste, ist dies ein Konzept des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch hier macht die Linke keine Angebote, die beim Wähler den Wunsch nach Wandel aufkommen lässt. Im Gegenteil, die Linke verliert die DMark-Nostalgiker und Deutschtümler an die AfD.

Abschneiden des Bündnis 90 / Die Grünen, bei dem sich manche fragen wo denn die 90-jährigen sind

Hier sind die vordergründigen Reizthemen wie Steuererhöhung, Pädophile-Studie und Veggie-Day gar nicht entscheidend. Das hat Stammwähler nicht vergrätzt und Wechselwähler waren bereits vorher abgesprungen. Die Umfragewerte waren schon vorher in den Keller gegangen und man fragt sich ob die Reizthemen nicht gezielt zur Vernebelung der wahren Ursachen gezündet wurden.

Es sind wohl eher Themen wie Tempolimit, gemeinsame europäische Schuldenhaftung und die Beibehaltung der Rente mit 67, die bei aller möglichen Bewertung nicht der gleichen Zielgruppe von Wechselwählern vermittelbar sind. Das ist eine Pizza auf der sich Thunfisch, Ananas und Marshmallows finden, da wird der Abnehmerkreis klein.

Abschneiden der Piratenpartei

Sie hat 10% zugelegt, trotz Querelen und einem Wahlkampf, der bei den Aktivisten oft mehr gegen die AfD als für die Piraten geführt wurde. Man könnte meinen die AfD wurde erfunden um die Piraten zu beschäftigen und vom Einziehen in den Bundestag abzulenken.

Das ist für die Aktiven nicht befriedigend, hat man doch mit einem Anteil von über 10% bei den gut und aktuell ausgebildeten 18- bis 24-jährigen Wahlberechtigten gezeigt wo das Potential liegt. Der internetaffine Teil der Bevölkerung wurde über die neuen Kommunikationsformen erreicht und zeigt wo das Mobilisationspotential liegt, wenn man auch das mobile Altenheim in den Fußgängerzonen erreicht und sich mit dem Einstieg in die Kommunalpolitik in die Fläche begibt.

Abschneiden der Alternative für Deutschland, der augenscheinlichen Vertretung der sozialen Randgruppe der Schlippsträger

Über die AfD zu schreiben wäre eine Abhandlung über mögliche psychologische Gründe für Realitätsverlust. Dafür gibt es einen ICD10-Schlüssel. Der Rest wurde bereits hier gesagt.

Wie hat sich diese Wahl aufs große Ganze ausgewirkt? Hat sie die Demokratie verändert, neue Impulse gegeben oder nur langfristige Veränderungen fortgeschrieben?

Sowohl als auch. Das historische Ausscheiden der FDP hat den aktiven Politikern und den Wahlberechtigten klar gemacht, dass es nie Erbhöfe oder gesetzte Kandidaten gab und gibt. Das einzig beständige ist der Wandel. Das wusste man immer, man hat es aber verdrängt und sich in die Tasche gelogen. Jetzt gibt es sogar eine neue Partei extra für Realitätsverweigerer. Das alles sind keine Widersprüche, Veränderung findet statt, sie ist aber nur Ausdruck dessen was schon immer geschah. Es sind keine Revolutionen, es sind allenfalls Evolutionen.

Deshalb wird sich auch die Demokratie von Morgen weiterentwickelt haben. Sie wird sich, genauso wie sich im letzten Jahrhundert die Kunst weiterentwickelt hat, zu neuen Formen und zu einer zeitgemäßeren Rezeption weiterentwickelt. Sie wird vielfältiger und damit facettenreicher, bidirektionaler, dialogorientierter und dynamischer.

Kurz, sie wird „entarten“ und nicht mehr „artig“ sein. Ja, dieser abfällig gemeinte Auswurf eines unterlegenen Politikers am Wahlabend war ein Kompliment an Deutschland und seine Demokratie.

Er hat diesen politischen Prozess mit (ich klau jetzt bei Wikipedia) Ernst Barlach, Willi Baumeister, Max Beckmann, Karl Caspar, Maria Caspar-Filser, Lovis Corinth, Otto Dix, Max Ernst, Otto Freundlich, Wilhelm Geyer, Otto Griebel, George Grosz, Karl Hofer, Karl Hubbuch, Hans Jürgen Kallmann, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz, Elfriede Lohse-Wächtler, Gerhard Marcks, Paula Modersohn-Becker, Piet Mondrian, Rudolf Möller, Otto Pankok, Max Pechstein, Oskar Schlemmer und Karl Schmidt-Rottluff verglichen. Das ehrt diesen gesellschaftlichen Prozess der Modernisierung.

Fazit

Ja, wir können uns freuen in Deutschland, auf das aus der Art schlagen, das Entarten, und darauf stolz sein. Artige Demokratien kommen vielleicht in den Himmel, die anderen kommen überall hin.

Die alte Art der Hinterzimmerrunden, der Klüngeltruppen und Seilschaften, der Lobbyistensitzflächenküsser und Bobbycarfahrer geht dem Ende zu. Deutschland und das neue Europa haben noch Saft in den Knochen und modern nicht im nationalistischen Dünkel. Venceremos.

Achso, das Wichtigste: Der 22. September 2013 war ein großer Tag für Deutschland. Die Wahlbeteiligung ist gestiegen. Es gingen mehr Menschen wählen als vier Jahre davor und wären in Bayern nicht eine Woche früher Landtagswahlen gewesen, dann wäre der Zuwachs noch deutlicher ausgefallen. Das spricht für das Zusammenlegen von Wahlterminen und gegen das Auseinanderziehen. Die Demokratie darf nicht der Parteitaktik geopfert werden.