Die Zahlen der Asylbewerber steigen stark, die Menschen entwickeln vielfältige Vorstellungen und Meinungen dazu. Der rechte Rand äußert sich lautstark, pöbelt – doch wie steht es mit der Mehrheit?
Alkohol löst keine Probleme, aber die Zunge. Heißt es. Kinder und Betrunkene sprechen die Wahrheit, schließt der Volksmund daraus. Aber dies ist einer der logisch falschen Umkehrschlüsse, denen man so oft begegnet. Kinder und Betrunkene lügen nicht, wenigstens nicht absichtlich, denn Unkenntnis, falscher Informationsstand und schlichte Dummheit können trotzdem die Ursache sein, dass Betrunkene, genauso wie unwissende Kinder, einfach nur eine gut klingende Dummheit von sich geben.
Und einige dieser gefühlten Wahrheiten bekommt man bei Volksfesten vom Nachbar zu hören. Dummheit oder Weisheit?
„Die sind ja schon zuhause faul rumgesessen und haben nie etwas gearbeitet.“
Das ist so offensichtlich falsch, dass die notwendige Ignoranz und Dummheit erheblich sein muss, um auf eine derartige Idee zu kommen. Wer hat denn in Syrien die Häuser und Städte gebaut? Den Leuten die Haare geschnitten, Brot gebacken, geschlachtet und Wäsche gewaschen. Autos repariert, den Müll eingesammelt, in Fabriken gearbeitet, Zeitungen gedruckt, Möbel geschreinert? Kurz, gearbeitet, dass ganz normales Leben in einem modernen Staat möglich ist?

Hat jemand schon mal die wunderbare Seife aus Lorbeeröl benutzt, die aus Aleppo stammt, die weltberühmte Savon a’Alep? Die fällt auch nicht vom Himmel, für deren Produktion musste hart mit der Hand gearbeitet werden. Eine Handwerkskunst, die inzwischen vielleicht unwiederbringlich zerstört ist.
Syrien hatte gar nicht die Möglichkeit große Bevölkerungsteile untätig herumsitzen zu lassen und zu versorgen. Es war ein aufstrebendes Schwellenland, keine Steinzeit-Wüste. Und das soll ohne Arbeit, nur durch faules Herumsitzen entstanden sein?
Nein ist es nicht, deshalb kann man ohne Probleme sagen, dass diese Leute in ihrem Land fleißiger waren, härter arbeiteten und mehr aufbauten, als die bequem lebenden besorgten Bürger in Deutschland.

„Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“
Das ist so offensichtlich falsch, dass die notwendige Ignoranz und Dummheit erheblich sein muss, um auf eine derartige Idee zu kommen. Zuerst steht diese Sichtweise in totalem Widerspruch zur ersten Behauptung, dass die Flüchtlinge nicht arbeiten könnten oder wollten. Dann ist es so, dass in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die jeder moderne Staat darstellt, jeder seinen Teil am Gesamtbedarf erarbeitet und gleichzeitig auch selbst für einen entsprechenden Bedarf sorgt.
Die schiere Existenz der Flüchtlinge schafft Nachfrage. Ganz grundlegende Nachfrage am Anfang in Form von Nahrung, Unterkunft, Körperhygiene und Kleidung. Dann kommt immer mehr dazu. Und mit der Möglichkeit durch eigene Arbeit Geld zu verdienen wird Auto, gehobenere Wohnungsausstattung und eigene Wohnung, nicht nur ein Zimmer im Heim, nachgefragt. Das unterscheidet sich nicht von der Situation nach dem Mauerfall, einschließlich des Nachholbedarfs.
Es ist sogar so, dass die potentielle Nachfrage arbeitender Flüchtlinge deutlich höher ist. Höher als bei der Durchschnittsbevölkerung. Die Flüchtlinge sorgen so für mehr Nachfrage, als sie selbst decken könnten.
„Die islamisieren unser Land.“
Wirklich? Ganz kurz nachdenken, wovor fliehen diese Leute? Vor ISIS und dem IS. Und wofür stehen diese Abkürzungen? Für den islamischen Staat, das Kalifat muslimischer Taliban. Wenn diese Flüchtlinge derart überzeugte Muslime wären, die die Scharia vor sich hertragen und den islamischen Staat wollen, warum sollten sie dann fliehen? Es gibt solche Leute in Syrien und dem Irak. Sie begrüßen deren Kommen und unterstützen sie. Natürlich gibt es solche Leute und ohne sie wäre auch kein Vordringen des Kalifats möglich gewesen. Aber diese Leute fliehen nicht.

Diese Leute sind der Grund warum Flüchtlinge zu uns kommen. Flüchtlinge, die nicht wollen dass ihre Männer sich zwischen dem Kampf in den Reihen der Taliban und dem Tod entscheiden müssen. Flüchtlinge, die nicht wollen dass ihre Frauen sich zwischen der Sklaverei bei den Taliban und dem Tod entscheiden müssen. Flüchtlinge, die alle Voraussetzungen mitbringen um den säkularen deutschen Staat schätzen zu lernen und als säkulare Gläubige vieler Bekenntnisse hier zu leben und irgendwann auch zu aufgeklärten Agnostikern oder Atheisten zu werden. Und die, die den Islam noch pflegen, pflegen ihn als Erinnerung an die Heimat, als Folklore, so wie die Schlesier die Polka.
„Die bekommen so viele Kinder und überfremden uns.“
Nur dass diese Kinder keine Fremde mehr sind, sie sind hier heimisch oder werden es. Und sie bleiben höchstens Fremde, wenn man ihnen die Unterkunft anzündet, sie bespuckt und beschimpft und sie ausgrenzt. Dann bleibt ihnen vielleicht nichts anderes übrig als fremd zu sein und zu bleiben.
Das könnte eine selbsterfüllende Prophezeiung sein.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass diese dummen Vorurteile und schlichten Vorstellungen aus der Welt geschafft werden, widerlegt werden. Sonst bleiben diese Familien tatsächlich Ausgegrenzte, Fremde und kommen hier nicht an.

Dass unsere Bevölkerung ohne Zuzug um eine Viertelmillion pro Jahr schrumpft, mit allen Problemen fehlender Arbeitskräfte, sinkender Konsumnachfrage und aussterbender Landgemeinden, sollte man nicht mehr extra erwähnen müssen. Dass ausgerechnet Menschen in den östlichen Bundesländern besonders heftig reagieren, in Landschaften in denen die Existenz ganzer Dörfer auf dem Spiel steht, und nicht im dicht besiedelten Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, das ist noch die absurde Pointe der Vorgänge.
Ich hoffe, dass es uns nicht geht wie Talbot in Schillers „Jungfrau von Orleans“:
Unsinn, du siegst und ich muss untergehn!
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
Und Kinder und Betrunkene lügen vielleicht nicht, aber ganz sicher sprechen sie nicht automatisch die Wahrheit. Denn Erkenntnis entsteht nicht einfach im Gehirn, so wie Würmer und Insekten nicht einfach aus Schmutz entstehen. Es bedarf der Befruchtung mit Wissens oder der eigenen persönlichen Erfahrung um zur Erkenntnis zu kommen.
Wissen! Da persönliche Erfahrung nur schwer zu vermitteln ist, das alte Syrien im Krieg untergegangen ist und in Trümmern liegt, wird der einzige Weg wohl sein, dass man für mehr Wissen sorgt. Berichte über die Herkunft der Flüchtlinge, das alte Aleppo und Homs vor dem Krieg könnten den Menschen vor Augen führen, dass die Besorgnisse nicht falscher sein könnten.
Deshalb hier ein Bericht im französischen Fernsehen von 2008 über die Seifen-Produktion in Aleppo: La fabrication du savon d’Alep (FR3, in franz. Sprache)
Und wer jetzt meint sagen zu müssen, dass es um Asylbewerber ginge und selbstverständlich nicht um Kriegsflüchtlinge, der sage das nicht mir, sondern den „besorgten Bürgern“, die vor Heimen für syrische Flüchtlinge stehen und demonstrieren oder diese sogar niederbrennen.
Deshalb eine letzte Forderung am Schluss, diese unselige Verquickung von Flüchtlingen gemäß Völkerrecht, Asylsuchenden und Migranten muss ein Ende haben und nicht noch durch ein entsprechendes Einwanderungsgesetz zementiert werden.
