In Schweden wird zur Jahresmitte 2018 ein neues Gesetz, das Einverständnis-Gesetz, in Kraft treten, das zwei neue Tatbestände einführt, die „unachtsame Vergewaltigung“ und den „unachtsamen sexuellen Übergriff“.

Aus der Opt-out-Regelung im zwischenmenschlichen Verkehr wird eine Opt-in-Regelung

Damit ist Schweden derzeit einzigartig auf der Welt und hat damit in vielen Ländern eine heftige Diskussion über den Tod der Romanze und Diskriminierung der Männer ausgelöst. Abgesehen davon, dass diese Regelung für alle Varianten und Paarungen der Geschlechter und sexuellen Orientierungen gilt, geht die Diskussion am Hauptproblem vorbei.

Sexualität wird kriminalisiert und zwar einseitig

Nicht die Nötigung und der Zwang stehen im Vordergrund der Gesetzgebung, sondern der sexuelle Akt. Damit wird wieder ein „sündhaftes“ Verhalten gesetzlich verankert, wie es schon in mittelalterlichen Zeiten unter dem Einfluss und der Herrschaft religiöser Organisationen Usus war.

Dies schafft ein Ungleichgewicht zwischen sexuellen Übergriffen und Übergriffen anderer Art. Küsse ich (in Schweden) jemand unverlangt auf den Mund ist es eine Straftat, stecke ich demjenigen ein Bonbon  unverlangt in den Mund ist es dies nicht.

Übergriffigkeit soll explizit schlecht(er) sein, wenn sie sexuell konnotiert ist

Damit feiert die Sexualfeindlichkeit fröhliche Urständ, der Pietismus erhebt sein hässliches Haupt. Die körperfeindliche Amoral des Mittelalters schleicht sich im Mantel von Frauenrechten und Schutz des Schwachen wieder in die Gesellschaft ein. Die Sünde wird wieder eingeführt, diesmal als weltliche Tat.

Damit stehen wir an der Schwelle zur Rückkehr des dunklen Zeitalters vor der Philosophie der Aufklärung und des Primats der Ratio im staatlichen Handeln. Unsere Zivilisation läuft Gefahr sich im Versuch die Zustände gerechter zu machen und den Unterlegenen Schutz zu gewähren ein neues System der Rituale und inhaltslosen Ersatzhandlungen zu erschaffen. Fremdbestimmtheit statt Selbstbestimmtheit.

reflection in building window of anonymous couple hugging on street
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Was wir stattdessen brauchen ist eine neue Ausformulierung des Social Contract

Eine allgemeine Vereinbarung über das Zusammenleben in unserer Gesellschaft, deren Vorläufer mit der Säkularisierung und Laizisierung unserer Gesellschaft untergegangen ist. Das religiöse mittelalterliche Regelwerk hat diese Veränderungen zwar überlebt, besitzt aber keine normative und bindende Kraft mehr.

Ein Gruppendruck oder die soziale Ächtung ist aus dieser Quelle unbedeutend geworden. Wenn heute der Pastor jemand von der Kanzel herunter verdammt interessiert das keine Sau. Wir haben ein komplett anderes Wertesystem, ein anderes Verhältnis zum Hedonismus und zur Begründung und Rechtfertigung von Moral und Ethik. Nicht mehr den alten Mann im Himmel, der Bärtige auf dem Wolkenthron, sondern rational begründete soziale Werte.

Deshalb kann man das Ausmaß nicht an den Regeln dieser religiösen Wertesysteme festmachen. Es ist nicht die „Sünde“ oder die „Sexualität“, die einen Übergriff, eine Ausübung von Gewalt zur kriminellen Tat machen. Es ist der Anspruch Gewalt und Herrschaft über einen anderen Menschen zu besitzen. Fremdbestimmung auszuüben und damit die Würde des Opfers zutiefst zu verletzen. Und dies nur im sexuellen Kontext schutzwürdig zu machen oder strafverschärft hervorzuheben ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer, die auf andere Art und Weise, in anderem Kontext, ihrer Würde und Selbstbestimmtheit beraubt werden.

Hier fehlt der Gesellschaft ein gemeinsames Verständnis von Unrecht und Schuld

Um dieses Vakuum zu füllen braucht es eine öffentliche und umfassende Konsensfindung. Ohne diesen Konsens gibt es dann Fälle wie Assange oder Weinstein, Roy Moore und DJ Trump, bei denen nicht nur der Handelnde versagt, sondern auch die Gesellschaft im Umgang mit ihnen. Nicht nur nach der Tat in der umfassenden Verdammung, sondern insbesondere vor der Tat. Indem ein gesellschaftliches Bewusstsein nicht erzeugt wurde, dass die (mögliche) Schändlichkeit ihres Tuns nicht definiert hat.

Und ohne diese gesellschaftliche Grundlage wäre es unredlich die Täter zu verurteilen. Unser Strafrecht verlangt, dass der Täter ein Verständnis der Strafbarkeit besitzt – ein Unrechtsbewusstsein.

Und das kann ohne einen „Social Contract“ nicht existieren.