Das Auswärtige Amt hatte eine Historikerkommission mit der Erstellung eines Berichts über die Nazi-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes beauftragt. Der Bericht liegt jetzt vor und führt zu heftigen Kontroversen. Abgelehnt wird beispielsweise der pauschale Vorwurf gegenüber den Deutschen, sie hätten schon vor Kriegsbeginn wissen müssen wohin die Rassengesetze und das Vorgehen gegen die Juden führt. Die Mitarbeiter im Auswärtigen Amt hätten gewusst welcher Weg eingeschlagen wurde und woran sie sich beteiligen. Gegen diese Position gibt es Vorbehalte.
Diese teile ich nicht. Und das sollte man auch nicht, unabhängig ob man Klemperers Tagebücher gelesen hat oder nicht.
Denn gewusst haben es alle. Es sich bewusst gemacht was es bedeutet, das hat wahrscheinlich nur ein kleiner Bruchteil. Die eigene Verantwortung geleugnet haben fast alle schon während das Grauen seinen Lauf nahm. Die, die dies nicht taten, handelten meist entsprechend, sowohl dafür als auch dagegen. Das naive Danebenstehen gab es nur in der Selbstverleugnung.
Die entscheidenden Quellen sind eben immer die aus der betreffenden Zeit und nicht die Wertungen und Analysen späterer Betrachter.

Und wer meint es wären vor der Machtergreifung konsiliante „Lösungen der Judenfrage“ öffentlich propagiert worden, der liest und hört nicht den O-Ton der zwanziger Jahre, dieser ist eindeutig und zweifelsfrei.
Beispielsweise Goebbels im Jahre 1929: „Man kann den Juden nicht positiv bekämpfen. Er ist ein Negativum und dieses Negativum muss ausradiert werden.“ Es gibt zahllose weitere Stellen, die die Menschenverachtung und den Willen zum Holocaust dokumentieren. Ich will hier keine Literaturliste nennen, aber wer sich damit kritisch beschäftigen will dürfte genug Quellen finden. Wer diese geistigen Vomitationen für bare Münze nehmen will leider auch.
Man muss deshalb nichts Klemperers Blick auf seine Zeit nehmen, ist es doch nur eine sekundäre Quelle, man kann die primären Quellen, die Ankündigungen und Bekenntnisse der Täter für sich sprechen lassen. Gerade die Schriften aus den Zwanzigern sind noch unverhohlen und deutlich. Anfang der 30er gibt man sich staatstragend und regierungstauglich. Da steht dann im ersten Absatz einer Nazi-Schrift man wolle die Juden nicht mehr in Deutschland haben, im zweiten Absatz wird die Ausdehnung Deutschlands auf den Erdball postuliert, womit der erste Absatz die Verbringung der Juden unter die Erde impliziert. Das dürfte auch von den Zeitgenossen so verstanden worden sein und durchaus beabsichtigt gewesen sein. Nazi-Dialektik.
Aber manche belügen sich schon wieder und schauen weg. Man vergleiche nur manche zeitgenössischen Forenposts mit dem Wortlaut der Fibeln Goebbels für die NSDAP-Mitglieder. Da wird einem erst klar was manche Mitbürger für Gedankenschablonen im Kopf mit sich herumtragen. Von wem sie die wohl abbekommen haben?
Siehe hierzu:

Bundesarchiv, Bild 183-1990-1002-500 / CC-BY-SA 3.0