Ich bin nicht gegen ein Freihandelsabkommen. Freier Handel ist eine geile Sache und eine DVD bei amazon.com zu bestellen, ohne Region-Codierung beachten zu müssen, wäre super, ein Tablet in Hong Kong zu kaufen, ohne zig Kilometer zur Postzollstelle zu fahren, auch. Also, ich bin nicht gegen irgendwelchen Freihandelsabkommen.

Aber TTIP ist mehr, weit mehr als ein Freihandelsabkommen. 

Und da beginnen die Probleme.

Verfall der Werte

TTIP vereinbart den kleinsten Nenner der Vorschriften, Normen und des Verbraucherschutzes als verbindlich. In Bereichen, in denen es auf einer Seite gar keine Schutzvorschriften, keine Grenzwerte und keine Kontrolle gibt, kommt es zur Aufhebung der Kontroll- und Schutzvorschriften. Dies öffnet ein Scheunentor für Gentechnik-Food, riskante Pharmazeutika und ungetestete Werkstoffe. Alles ohne die gewohnte FMEA- und Unbedenklichkeitsprüfung wie man sie in der EU gewohnt ist. Selbst das CE-Zeichen ist dann nicht mehr verpflichtend.

TTIP vereinbart für solche Fälle und andere, in denen es zu nachträglicher Klärung oder neuen Vorschriften kommt, dass der Staat nur gesetzgeberisch eingreift, wenn er den hypothetischen (!!!) Gewinn ersetzt. Damit sind extrem hohe Hürden aufgebaut und theoretisch wäre eine neue bisher verbotene Form des Nigeria-Connection-Scam nicht mehr zu verbieten, da der Staat der kriminellen Organisation den entgehenden Ertrag aus einem Betrug ersetzen müsste. Das ist absurd, ist nicht prinzipiell ausgeschlossen und dieses Scheunentor für den Missbrauch ist nur mit extremer Dummheit oder Korruption zu erklären.

Gerichte ohne Gesetz

TTIP vereinbart, dass für Streitigkeiten nicht die europäische Form der gerichtlichen Anwendung kodifizierten Rechts praktiziert wird (Codex Law), sondern die angelsächsische Form des Fallrechts in der Auseinandersetzung von Anwälten, Jury und Richter (Case Law). Dafür sind die kontinentaleuropäischen Gesetze nicht konstruiert. Europäisches Gesetz und insbesondere deutsche Recht sind für die direkte Umsetzung geschrieben, nicht für die anwaltliche und richterliche Auslegung. Den Spielraum der Auslegung gibt der Kommentar der Gesetzesvorlage in der entsprechenden Bundestagsdrucksache vor, nicht der Sophist in einer Kanzlei.

TTIP wird als Wirtschaftsförderungsmaßnahme gepriesen. Die Exporte deutscher Unternehmen in die USA stagnieren aber nicht wegen eines fehlenden Freihandelsabkommens, sondern gerade wegen der Problematik des Case Law bei Streitigkeiten, wegen der damit verbundenen Haftungsrisiken, der fehlenden Vorab-Kalukulierbarkeit, der sich daraus ergebenden horrenden Versicherungen für Haftpflichtschäden und Rechtsstreitigkeiten. TTIP bewirkt, dass sich diese Problematik auf jede Geschäftsbeziehung mit einem US-amerikanischen Unternehmen ausweitet, auch auf solche, die vollständig im deutschen Rechtsraum stattfinden. Wir importieren ein Problem, das wir bisher vermeiden konnten. Außerdem sind die Entscheidungen der Schlichtungskammern endgültig, es gibt keinen Rechtsweg.

Gerade die Punkte 3 und 4 sind auch für den deutschen Mittelstand eine Gefahr.

Und in der Praxis

Machen wir mal ein paar Beispiele, in denen dann TTIP gelten würde, wenn es so kommt wie im Moment die Entwürfe aussehen und die bekanntgewordenen Teile zeigen. Bei aller Intransparenz könnte es ganz anders kommen, schlimmer und besser. Nur, warum sollte man bessere Abläufe und Vereinbarungen verbergen? Aber jetzt die Beispiele. Ein Army-Angehöriger kommt in ein Autohaus in Dingolfing und kauft einen Passat, TTIP gilt, wenn er die Absicht hat ihn bei Entlassung mit in die USA zu nehmen. Ein Bauunternehmen arbeitet an einem Bau, der von einem amerikanischen Immobilienfonds finanziert wird. TTIP gilt. Und zahllose andere Fälle könnten und werden unter TTIP fallen. Und damit unter die Schiedsgerichte, die Arbitrary Courts, nach angelsächsischem Rechtssystem, nach Case Law.

Damit wird die Einheit des Rechts gefährdet.

Auch wenn das abgestritten wird, es wird von Betroffenen so angewendet werden und die Streitigkeiten werden vor den Schiedsgerichten landen.  Diese Schiedsgerichte sind kein Teil der deutschen oder europäischen Gerichtsbarkeit, sondern werden von Anwaltskanzleien organisiert werden. Ohne Kontrolle durch die Legislative und das demokratische System. Das ist die Entrechtung der Parlamente, des Justizsystems und der Demokratie, die über diese Instrumente sich zu verwirklichen sucht. Was eh schon schwer und umkämpft ist.

TTIP ist der Rüpel, der an dieses zarte Pflänzchen Demokratie pinkeln will, um es endgültig zum Verdorren zu bringen.

TTIP muss die strengsten Vorschriften, Grenzwerte und die weitgehendsten Schutzvorschriften beider Seiten zur Basis seines Wirkungsbereichs machen.

Primat der Politik?

Die Freiheit des demokratischen Systems sich Gesetze nach Belieben zu geben und als Instanz nur die Verfassungsgerichte gelten zu lassen darf nicht eingeschränkt werden. Staatliches gesetzgeberisches Handeln darf kein Anlass für Schadenersatzforderungen sein. (Außer es würde rückwirkend sein.)

Der Ort des Rechtsgeschäfts muss wie bisher über die Form der gerichtlichen Auseinandersetzung bestimmen. Case Law in den USA und UK, Codex Law in Kontinentaleuropa.
Als Gerichte sind nur ordentliche Gerichte zugelassen. Es gilt der Rechtsweg. Es wird kein Ständerecht eingeführt.

So sehe ich die Situation. So muss ich sie sehen, solange keine vollständigen Protokolle der Verhandlungen veröffentlicht werden. Der Vertragspartner Europa, das europäische Volk, hat ein Anrecht darauf Einsicht in die Verhandlungen zu haben, die seine Beauftragten in seinem Namen führen.

In meiner Bücherwand tropfen Tränen aus den Werken von Locke, Rousseau und Montesquieu. Und ich überlege ob ich eine alte Ausgabe des Code Civil in Alufolie einwickle, ich befürchte sie könnte sich selbst verbrennen, aus Protest.

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