Die SPD ist eine Partei der Tradition und der Zukunftssuche. Dieser Dualismus hat schon seit ihrer Gründung die SPD hin- und her getrieben. Aber nie war aber die Spannweite der Partei so groß, nie die Flügel so weit voneinander entfernt wie heutzutage. Nie die resultierende Spannung so stark. Jetzt könnte sie zerreißen!
Ursachen? Viele! Eine davon sind rund 20 Jahre kohlistische Unionspartei, die viele an Politik interessierte, mit sozialer und demokratischer Gesinnung aber ohne linke Orientierung, zur SPD getrieben hat. In die gleiche Zeit fiel der Aderlass an ökologisch interessierten Progressiven, die zur grünen Seite der Macht wanderten. Das verschob nicht nur das Koordinatensystem der Partei von einem Zentrum um Männer wie Bahr und Ehmke hin zu den Scharpings und Becks, sondern entzog ihr gleichzeitig das Nachwuchspotential an Aktiven und Sympathisanten und das kreative Potential für an Köpfen für bahnbrechend neue Konzepte.
Das Entscheidende war aber die Reaktion der Mehrheit der Parteiaktiven. Im Versuch die Partei nach dem eigenen hehren Ideal zu bewahren, begannen sie in bester Absicht Positionen, Ideologie und Standpunkte zu konservieren und verwandelten damit die SPD endgültig von einer progressiven, linken Arbeiterpartei in eine konservative Volkspartei. Die Zukunftsthemen bestimmte nun die politische Konkurrenz, aus der Speerspitze der Demokratie der Jahrhundertmitte war ein stumpfer Stiel im neuen Jahrtausend angekommen.

Wie kulminierte das Ganze in den letzten Jahren? Intellektuelle, Medien und Kulturschaffende wenden sich von der bräsigen Beliebigkeit von Personal und Programm ab. Das Spitzenpersonal wird zwischen den Lagern zerrieben, die Mitglieder suchen sich in Scharen neue politische Heimaten, die ihnen mehr Identität bietet. Die Entwicklung gipfelt im Vorsitzenden Beck, der beim Versuch es jedem Recht zu machen, es keinem mehr Recht macht. Wie in einer kaputten Ehe kommt dann am letzten Wochenende der Zeitpunkt an dem der Ärger der Trennung geringer scheint als die Wahrung des Status Quo. Man geht im Streit auseinander, Unterlegene sind verletzt, Sieger triumphieren.
Schlimmer und tiefer kann man Gräben nicht schaufeln. Zusätzlich nimmt man die Zäsur nicht als Chance für einen gründlichen Neubeginn – kein Trainerwechsel, kein Experiment, kein Bruch mit der Vergangenheit. Nein, man verstärkt das Instrumentarium des Scheiterns, man idealisiert die wesensfremde Methodik, man zelebriert einen innerparteilichen Konservatismus. Im Versuch die Partei zu retten erhöht man die Prinzipien und Werte, die dem Kern der Identität der SPD am fernsten stehen. Man opfert die Solidarität dem Zynismus der Macht. Man opfert den sozialen Imperativ dem Diktat der Ökonomie. Man opfert die Heimat von Lasalle und Bebel der politologischen Theorie des Machterhalts.
Die SPD war groß, als sie eine Partei der brennenden Herzen war. Jetzt rauchen nicht einmal mehr die Hirne beim Versuch pragmatisch zu denken. Nein, die SPD ist keine Partei der „Ritter für den kleinen Mann“ mehr, nur noch Buchhalter der Macht und Verweser des Verwaltungsstaates.
Eine Träne weint man ihr noch nach und freut sich gleichzeitig, dass Liebknecht, Lassalle und Bebel ihre Epigonen in fast allen Parteien haben. Die Brüder streben nun auf anderen Baustellen zur Sonne, zur Freiheit. Die Schwestern sowieso.
Siehe hierzu: Der Spiegel 37/2008 – SOZIALDEMOKRATEN – Das Wagnis