Die Ex-Piratin Marina Weisband hat in einem viel beachteten Beitrag in den sozialen Netzwerken darauf hingewiesen, dass man sich nicht der Habituation hingeben darf, die die Neue Rechte mit der wiederholten Verkündung von Unwahrheiten bezweckt. Es seien nicht nur fragwürdige oder grenzwertige Fakten, sondern schlicht und einfach Lügen, gedacht einen Gewöhnungseffekt zu erzielen.
In Diskussionen und Wortbeiträgen, im alltäglichen Gespräch, im Umgang mit unseren Kindern verzichten wir zu oft auf das Konkrete, auf die grundlegenden Fakten. Wir denken, das wäre selbstverständliches Wissen, das wäre einfach logisch und würde sich von selbst verstehen.
Aber tatsächlich ist es ein Fall von „du weißt, ich weiß, aber eben nicht alle wissen es.“
Wir müssen uns angewöhnen nicht nur uns gegenseitig und innerhalb unserer Filterblase uns der Offensichtlichkeit zu versichern und den Zustand der Wahrheit zu bestätigen, sondern wir müssen uns der Gefahr aussetzen oberlehrerhaft zu wirken und die Welt permanent zu erklären.
Das Offensichtliche, die Natur von Fakten, die Kausalität und Logik muss ständig neu vermittelt werden. Mehr als eine Generation hat diese Grundbausteine, die unser Universum bilden, nicht vermittelt bekommen. Kennt ihre Prinzipien nicht oder nicht mehr. Selbst Mathematik, ja das Rechnen, selbst diese ist nicht mehr selbstverständlicher Bestandteil des Wissens um die Welt und wird von vielen zur Diskussion freigegeben.
Und dazu kommt eine Beeinflussung des Zeitgeistes durch Verschweigen von Dingen, die man für offensichtlich genommen hat, die es aber nicht mehr sind. So selbstverständliche Grundlagen einer menschlichen Gesellschaft wie Anstand, Tugenden oder Höflichkeit sind in Vergessenheit geraten. Ihre Notwendigkeit für den Zusammenhalt von größeren Gruppen ist kein selbstverständliches Wissen mehr.
Wir dürfen nicht aufhören dies als Teil unserer Erziehungsaufgabe zu sehen. Selbst wenn man die alleinerziehende Mutter eines jungen Mannes ist, ein Bauunternehmen führt und wenig Zeit hat, man muss dem Kind erklären, was Anstand ist, das Bescheidenheit eine Tugend ist und Prahlerei kontraproduktiv. Dass es obszön ist sich goldene Zimmer und Duschen zu bauen oder zu wünschen, wenn Mitmenschen in Pappschachteln wohnen müssen. Dass Frauen oder abhängige Untergebene kein sexuelles Freiwild sind und zwischenmenschliche Beziehungen nicht nur des Konsenses bedürfen, sondern des Respekts und der Achtung. Wenn wir unseren Kindern derartige Selbstverständlichkeiten nur stillschweigend überlassen, dann wachsen sie zu älteren Männern heran, die ein gestörtes Sozialverhalten haben, wenig Impulskontrolle und eine verschobene und irreale Selbsteinschätzung. Und derart schlecht erzogene Erwachsene sind ein schlechtes Beispiel für die junge Generation.
Wir müssen uns darum bemühen diese schlechten Beispiele von unseren Kindern fernzuhalten. Sie mit Würde zu Anstand und sozialtauglichem Verhalten zu erziehen. Ihnen darin Vorbild sein und den Umgang mit Logik und Wissenschaft zu vermitteln.
Wir müssen deshalb auch anerkennen, dass nicht alle Ideologien und Lebensweisen für Minderjährige tauglich sind. Allegorien oder Fabeln sind keine 1:1-Abbildungen der Realität und es bedarf der Adoleszenz um dies erkennen zu können. Kinder dürfen deshalb auch nicht mit komplexen Erzählungen überfordert werden, deren Surrealität sie nicht erkennen können.
Deshalb müssen wir Kindern und anderen mit unterentwickelten Kenntnissen die Welt ständig neu erklären, auf ihrem Niveau, mit klaren Worten. Auch das scheinbar offensichtliche und selbstverständliche Wissen immer wieder neu vermitteln. Für die Habituierung der Fakten und der Realität.
Und der Mathematik.
Quellen
Statement von Marina Weisband
Habituation