Ein Nachfolger für den politischen Querdenker Boris Johnson ist gefunden. Liz Truss wurde von den Parteimitgliedern der britischen Tories zur neuen Vorsitzenden gewählt. Nach ungeschriebenen Regeln hat sie damit Anspruch auf das Amt des Premierministers, der durch die Mehrheitsfraktion im britischen Unterhaus bestimmt wird. Damit wird die am 26. Juli 1975 in Oxford geborene Frau Regierungschefin.

Liz Truss erhielt 57,5% der Stimmen, ihr Gegenkandidat Rishi Sunak 42,5%. 141.000 der 160.000 Mitglieder hatten sich an der Abstimmung beteiligt.

Es zeigt damit das Bild einer zutiefst gespaltenen Partei, in der die neue Parteichefin nur knapp eine Mehrheit der Mitglieder hinter sich versammeln konnte. Ein Achtel der Mitglieder konnte sich nicht durchringen überhaupt einen der beiden Kandidaten in der Stichwahl zu unterstützen.

Neue Besen sollen gut kehren

Trotz eines gewaltigen zweistelligen Rückstands in Umfragen macht die neue Vorsitzende in Optimismus und beschwört das Vorhandensein einer Bevölkerungsmehrheit für die eigene Politik und die eigenen Positionen.

Dazu gehört, dass die Konservative Partei und auch Liz Truss offiziell den Brexit unterstützen und ihr Schicksal mit dem Gelingen desselben verknüpft haben. Und selbst Die-Hard-Anhänger des Brexit verkünden öffentlich, dass es erst in vielen Jahrzehnten Vorteile aus dem Brexit für die breite Bevölkerung geben wird.

Vorerst werden durch die Aufhebung von EU-Regulierungen und Senkung der Verbraucherrechte nur große Unternehmen und reiche Investoren profitieren. Ein Personenkreis, er auch die Partei von Liz Truss finanziell unterstützt.

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Eine Vorgeschichte der Wankelmut

Liz Truss hat sich in der Vergangenheit als geschmeidig erwiesen, was politische Positionen betraf. Es ist deshalb ungewiss welche politische Kontinuität es im Vereinigten Königreich geben wird. Und es gibt kontroverse Fragen, die einer steigen und verlässlichen Antwort bedürfen. Sei es der anhaltende Ukraine-Krieg, bei dem das UK als Garantiegeber des Budapester Abkommens in der Pflicht steht, oder das Nordirland-Protokoll im Rahmen des Brexit.

Und gerade bei letzterem wird es spannend. Hier ist die Kontroverse am stärksten und Truss selbst war früher Gegnerin des Brexit, hat sich aber aus populistischen Gründen und um ihre Position im reaktionären Flügel der Tories zu verfestigen zur Befürworterin des Brexit gewandelt.

Unter diesem Obertitel lassen sich Deregulationen und Steuersenkungen, zu Gunsten der Superreichen und „City“ mitsamt ihren zugewanderten Oligarchen, besonders einfach der Wählerschaft verkaufen.

Realisten in Brüssel machen sich deshalb keine großen Hoffnungen. Verantwortliche pochen schon einmal zur Sicherheit darauf, dass man die Einhaltung und den Vollzug der Vereinbarungen erwarte.

Viele Baustellen, wenig Baupläne und Bauarbeiter

Die aktuellste und größte Baustelle ist der Sektor Energieversorgung. Hohe Preise und angespannte Versorgungslage sorgen für Unruhe in Unternehmen und der Bevölkerung. Hier gab es bisher nur Absichtserklärungen und keine Konzepte aus der Zeit von Boris Johnson, die man übernehmen könnte.

Als Kabinettsmitglied der alten Regierung muss ihr das bewusst sein. Trotzdem erklärt die die Versorgungsproblematik zum langfristigen Problem, verabschiedet sich vorab von der Pflicht in der akuten Situation eine Lösung liefern zu müssen.

Reagieren statt Regieren ist angesagt.

Beide Kandidaten für die beiden gekoppelten Ämter Partei- und Regierungschef hatten es penibel vermieden sich auf Pläne zur Lösung der Fragen rund um Energie, Inflation und Klima festzulegen. Dass die Steigerung der Preise weder in der Krieg noch in Klimaschutzprojekte gesteckt wird, sondern einzig und allein die Kassen der Unternehmen füllt, die fossile Energieträger zu gleichbleibenden Förderzinsen aus dem Boden holen.

Für den Winter werden Unternehmenspleiten und private Konkurse erwartet. Einhergehend mit stillstehender Produktion und kalten Wohnungen und Häusern. Frostschäden an der Infrastruktur und dem Wohneigentum werden nicht auszuschließen sein. Winter is coming.

Geliefert wird bis jetzt keine echte Lösung, keine große Mauer gegen den Schrecken des Winters. Es bleibt bei Absichterklärungen.

Einheimisches Obst und Gemüse ist knapp geworden

Der Sack voller Würmer ist groß

Zur angespannten Versorgungslage bei Energie kommt schon länger eine Krise bei Lebensmittel und vielfältigen Importprodukten aus aller Welt. Neben der Erschwernis des Brexit für Lieferungen aus Europa und den Einschränkungen in China wegen der Pandemie und geschrumpfter Transportkapazitäten ist es der Mangel an LKW-Fahrern und inländischen Erntehelfern, der die Läden mit teilweise leeren Regalen zur Regel werden ließ. Parallel dazu sind die Preise für alltäglichen Bedarf gestiegen.

Weite Teile der Bevölkerung sind zusätzlich von der Krise im Gesundheitssystem betroffen, die nur teilweise auf die Pandemie zurückzuführen ist. Gerade hier war eine der Versprechungen der Brexiteers mehr Geld statt an die EU ins NHS zu stecken. Eine Versprechung, die sich als inhaltslos und irreführend entpuppte. Das UK hat immer mehr Dienstleistungen und Synergieeffekte von der EU erhalten, als es an diese zahlte. Das UK war ein Netto-Profiteur.

Die Opposition fordert Neuwahlen

Heute wir Liz Truss die erste Regierungschefin sein, die ihre Ernennung nicht im Buckingham Palast erhält, sondern im Landsitz Balmoral der Queen. Vielleicht wird sie auch die Premierministerin mit der kürzesten Regierungszeit sein, wenn die von der Opposition geforderten Neuwahlen zügig stattfinden.

Beim knappen Ergebnis ihrer innerparteilichen Wahl ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie deren Rückhalt und Mehrheit verliert. Ein Scheidepunkt könnte die Forderung nach einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands sein.