Im historischen Zentrum meiner Heimatgemeinde stehen eine Reihe alter Bürgerhäuser, größtenteils gebaut von der jüdischen Gemeinde. Eine lebendige Gemeinde deren Mehrheit Ende des 18. Jahrhunderts nach Nordamerika auswanderte. Im dritten Haus von rechts (beim Parken-Schild) war das Zentrum der Gemeinde. Im Obergeschoss befand sich der Gebetsraum der Gemeinde, im Rückgebäude das rituelle Bad. Im Erdgeschoss lag die Wohnung des Vorbeters, dort wo heute ein Laden ist.
Ferdinand Geib
Wesentlich bedeutungsvoller ist das rote Haus auf der rechten Seite mit der vorgebauten Treppe. Es ist das Geburts- und Elternhaus von Ferdinand Geib. Geib ist einer der Gründerväter des „Deutschen Vaterlands-Vereins zur Unterstützung der freien Presse“. Dieser Verein gilt als erste deutsche demokratische Partei. Eine Organisation, die sich im totalitären Feudalismus mit der Vereinsform und einem unpolitischen Zweck tarnen musste.
Das Elternhaus diente Ferdinand Geib und seinen Mitkämpfern als regelmäßiges Versteck und Treffpunk. Von dort agierten sie für Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte. Ein gefährliches Unterfangen in der Zeit nach der französischen Julirevolution von 1830. An diesem Ort, abseits der Überwachung durch die Geheimpolizei des Feudalregimes, weniger gefährlich. Die lokale Legende erzählt, dass im Keller eine Druckerpresse versteckt war. Die Maschine auf der die Flugblätter und Plakate gedruckt wurden, mit denen zum Hambacher Fest geladen wurde. Die Druckereien in Neustadt standen unter Überwachung und wurden laufend vom Zensor des Regimes besucht.
Terroristen im Wandel der Zeit
In dieser Zeit wurden Geib und seine Kameraden von der Regierung als Terroristen und Verräter betrachtet. Man warf ihnen vor die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden. Dazu kam der viel gefährlichere Vorwurf die göttliche Ordnung des Königtums in Frage zu stellen. Einige wurden zum Staatsfeind erklärt und teilweise ohne Verfahren inhaftiert und an unbekanntem Ort interniert. Zur damaligen Zeit ohne Möglichkeit Anwälte oder Angehörige zu sprechen. Dabei zählten Männer wie Geib, Siebenpfeiffer und Wirth zur intellektuellen Spitze des akademischen Standes. Und was sie verbreiteten war nicht Gewalt und Terror, sondern Worte und Ideen.
Heute sind sie Teil der nationalen Geschichte, des demokratischen Erbes und Persönlichkeiten auf die das Land stolz ist.

Inzwischen habe ich auch Anhaltspunkte, dass mein Ururgroßvater, der zum politisch aktiven Umfeld von Friedrich Hecker gehörte, mit diesem zum Hambacher Fest gereist war. Er zählte genauso wie sein Vater zu den Kämpfern für Freiheit und Bürgerrechte. Mein Urururgroßvater wurde 1759 in die Leibeigenschaft des Markgrafen von Baden geboren. Die Flucht aus der Leibeigenschaft ging nach Frankreich zu den Jakobinern. Später schloss er sich Napoleons Truppen an und brachte es zum Offizier. Als kaiserlicher Offizier fiel er zu Ende des Winterfeldzugs 1814, noch vor dem Frieden von Paris, den Nachwirren zum Opfer.
Der Gang der Zeit
Heute noch existiert ein Zweig der Familie in Frankreich. In der Familie wird das Bewusstsein gepflegt, was es heißt nicht frei zu sein. Meine Vorfahren haben die Befreiung von der Sklaverei nur wenige Jahre vor den Sklaven in den Vereinigten Staaten erlebt. Manche der Leibeigenen aus ihrer Heimat blieben noch bis 1851 rechtloses Eigentum ihres Feudalherren. Die Geschichte von Demokratie, Freiheit und Ehre ist kurz in Deutschland. Und sie wäre ohne vormalige Terroristen und Staatsfeinde wie Geib und seine Kameraden noch viel kürzer.
Linkhinweise:
- Anklage-Act gegen D[okto]r Wirth, Dr. Siebenpfeiffer, Geib ua.
- Wikipedia.org – Hambacher_Fest
- Wikipedia – Ferdinand Geib
- Wikipedia – Vormärz
- Wikipedia – Paul Camille von Denis
- Wikipedia – Deutscher Preß- und Vaterlandsverein