Es war vor vielen, vielen Jahren … da hätte ich fast FDP gewählt. Gerhart Baum war Innenminister und die liberale Idee hätte mich fast überzeugt. Damals war ich noch relativ jung und unwissend und gedachte dem abzuhelfen. Mit der Absicht eine liberale Partei zu wählen, las ich mich in politische Grundlagenliteratur ein. Lockes Two Treatises, dann Kant und auch Schopenhauer als Kritik seiner Kritik, Montesquieus Vom Geist der Gesetze und noch ein paar der kleinen gelben Bücher von politischen Philosophen, die uns die Lehrer in der Schule schon hätten lesen lassen sollen. (Bildung war früher auch nicht besser, nur anders.)
Als ich sah wie alt die Ideen waren, wie wenig davon umgesetzt ist und daneben noch weitergehende politische Entwürfe kennen lernte wie Thoreaus Civil Disobedience, sah wie wenig progressiv die FDP tatsächlich war, wieviel mehr an Liberalität schon damals hätte sein können, da dachte ich mir, frag diese Leute, die von der FDP, die Liberalen, vielleicht wollen die mehr als sie in ihre Flugblätter schreiben. Liberalismus kann recht revolutionär wirken und vielleicht haben sie Angst verboten zu werden. Der Radikalenerlass war zu jener Zeit noch als Begriff in aller Munde und Berufsverbot ein reales Schreckgespenst.
Wie redet man mit den Leuten, bringt in Erfahrung was Sache ist? Also bin ich zu einer Versammlung der FDP in meiner Universitätsstadt, brechend voll, rauchgeschwängert, Alkoholdunst, Landwirte, Schlipsträger, keine bzw. kaum Frauen … ich habe dann nochmal kontrolliert ob ich im richtigen Saal bin … versucht einen der Aktiven hinter einem Tapeziertisch in ein Gespräch zu verwickeln, stellte sich als Stadtratsmitglied vor, deckte mich mit Faltblatt, einem Abdruck einer Rede von Genscher und einem Button mit FDP-Logo ein. Kugelschreiber gab es keine. Aber Locke kannte er nicht, Kant hatte er nie gelesen und sein wichtigstes Thema war öffentlicher Nahverkehr. Im Saal wurde derweil über die Rahmenbedingungen für die regionale Jagdgenossenschaft referiert.
Liberalismus ist nicht tot, er lebt und ist wichtiger denn je, aber bei der FDP findet man ihn nicht mehr. Dort findet man allenfalls libertäres Gedankengut, das mit liberalen Ideen nichts zu tun hat. Denn dort geht es nur um die eigene Freiheit, nicht die Freiheit der Anderen und der Gesellschaft.