Selbstverwaltete und nicht-staatliche Schulen haben in vielen Bundesländern die Möglichkeit sich selbst Kleiderordnungen zu geben. In den bekannt gewordenen Fällen gelten sie aber nicht für den Lehrkörper und die Verwaltung, sondern nur für die Schülerschaft. Dabei zielen sie mit den reglementierten Kleidungsstücken einseitig auf die Schülerinnen.
Ein Gymnasium in Eppendorf nennt explizit „pofreie Shorts“ und „übertiefe Dekolletés“ in seiner Kleiderordnung. Wobei sich auch die Frage stellt, was bei Shorts, die „pofrei“ sind noch übrig bleibt? Ein G-String? Aber darum geht es gar nicht.
Die Umgehensweise mit der dieser Frage an Schulen ist nur das Symptom eines größeren und tiefsitzenderen Problems.
Eingriff in Persönlichkeitsrechte
Gerade weil ein Dekolletee bis zum Perineum und pofreie Shorts ein Problem sind, müssen sie in der Schule erlaubt sein und dann eben Gegenstand einer Diskussion in der Klasse wie es auf die Mitmenschen wirkt, was es signalisiert und dass es eine Grenze gibt, ab der diese Signale übergriffig oder missverständlich werden.
Und wenn diese Diskussion nicht im geschützten Raum Schule möglich ist, wo und wann dann? Später am Arbeitsplatz? Oder im privaten Umfeld? Ohne Schutz.
Kindern müssen lernen und verstehen, dass Freiheitsrechte eine bilaterale Abwägung sind. Wenn ich mit meiner Kleidung und Selbstdarstellung in den Personal Space meiner Mitmenschen eindringe, dann muss ich einem Konsens entsprechen, Kompromisse eingehen. Weder die Würde des anderen verletzen, noch ihm das Gefühl geben dies könnte auch umgekehrt der Fall sein, indem ich mich verletzbar zeige. Denn wer ausgezogen ist, zwingt den anderen damit dazu „mit den Augen auszuziehen“. Die Entscheidung wird dem Gegenüber abgenommen. Wo dafür die Grenzen liegen kann nicht und schon gar nicht nur für einen Teil der Beteiligten starr festgeschrieben werden.
Und genau diesen Mechanismus, die Grenzen der eigenen Freiheit an den Grenzen derer der Mitmenschen auszumachen, diesen Mechanismus gilt es in der Schule zu vermitteln, es gilt ihn kritisch zu hinterfragen und den historischen, soziologischen und anthropologischen Hintergrund zu vermitteln.
Und wenn dann das Ergebnis dieser Prozesses ist, dass nackt oder Burka oder irgendwas dazwischen statthaft ist, den Konsens darstellt, dann ist das okay. Für die Betroffenen.
Regulatorische Arroganz
Aber es anzuordnen, festzuschreiben für alle Kombinationen von Schülern und Lehrern, in die Zukunft wirkend, dann ist das genau die Form von Pauschalverurteilung und dumpfer Reglementierung, die an einer Schule ein katastrophale Nachricht darstellt.
Denn niemand kann erwarten, dass diese Regelung regelmäßig hinterfragt und neu ausgehandelt wird. Oder zur Disposition steht, wenn auch nur ein Schüler/Lehrer neu hinzukommt oder weggeht. Solche Regelungen haben die Eigenschaften bürokratische Beharrungskraft zu entwickeln und normative Wirkung zu entfalten. Sie werden zu dem „richtig und gut“, alles in Opposition dazu zu „falsch und böse“.
Viele vertreten die Meinung es wäre Aufgabe der Eltern im Rahmen der Erziehung die Fragen zu klären und ihre Kinder festzulegen. Sie übersehen den großen Nachteil, dass ein derartiger Mechanismus zur Perpetuierung von Verhalten führt, Fortschritt und Anpassung verhindert, Integration und Wandel behindert.
Welche Seite verkörpert Tradition
Es ist doch ein zentrales Element der europäischen Kultur seit der Antike, dass jede Generation ihren Verhaltenskodex neu (er)finden muss, daraus entsteht gerade der Reichtum und die Breite dieser unserer Kultur. Dass es eben nicht bei Toga, Burka und Braunhemd bleibt.
Und Schule muss und kann den sicheren Rahmen bieten, in dem es kein „falsch/richtig“ oder „gut/böse“ gibt, sondern nur ein „funktioniert/funktioniert nicht“. Schule ist Lebenslabor, Training, Findungsraum. Nicht in der begrenzten Welt der Familie für den Einzelnen, sondern im größeren Rahmen mit einem Blickfeld offen für die soziale Gemeinschaft, für die Gesellschaft der Zukunft.
philipp von bach
Und diese Möglichkeit muss begleitet werden, mit Feedback, Erläuterung und Erklärungen, damit jeder sein eigenes Handeln und das der anderen reflektieren kann, einordnen kann. Aus diesem Wissen entsteht Verständnis, Verständnis, das Sicherheit bietet, Sicherheit, die die Persönlichkeit stärkt und damit gefestigte erwachsene Persönlichkeiten schafft.
Und dabei sind alle Erwachsenen an einer Schule gefordert. Als Vorbild, als Quelle des Feedback und als Gesprächspartner. Nicht nur der Lehrkörper, sondern auch die Verwaltung und bis hin zu Hausmeister und Putzkolonne. Schule ist ein besonderer Raum, eine besondere Zeit, mit erheblicher Bedeutung für das ganze Leben. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung. Für die Schule, für den Staat und für die ganze Gesellschaft.
Philipp von bach
Fazit
Aber die Reste jenes unsäglichen wilhelminischen Geistes, der immer noch durch die deutschen Schulen weht, der ist mehr daran interessiert „funktionierende Zahnrädchen“ für den Produktionsprozess zu schaffen. „Human Resources“, früher hat man „Menschenmaterial“ dazu gesagt oder „Kanonenfutter“. Dieses System der „Formung von Menschen“, statt ihnen die Möglichkeit zu geben sich neu zu definieren, der Zeit nicht nur anzupassen, sondern sie progressiv fortzuschreiben, dieses System ist immer noch das Primat des Schulsystems. Und damit die Quelle eines zähen Schleims des Konformismus, der die Entwicklung der jungen Menschen hemmt, nebenbei die Probleme mit Migration (in beiden Richtungen) verstärkt und die jungen Menschen nicht auf den steten Wandel der Welt vorbereitet.
Hier muss sich etwas ändern. Die Kinder, wir alle und alle zukünftigen Generationen haben besseres verdient.