Die historische Schuld entsteht jetzt in diesen Tagen. Die ersten Flüchtlinge kehren um, gehen in den Nahen und Mittleren Osten zurück. Die Grenzen werden geschlossen die Fluchtrouten dicht gemacht. Viele Europäer weisen die Verantwortung für die Flüchtlinge zurück. Erklären, dass Europa nicht schuld wäre, dass es den Krieg gibt.

Wenn es nur nach dem Verschulden für einen Konflikt ginge, dann dürften die Opfer von Krieg und Vertreibung nur in Gebiete fliehen, die unter der Verantwortung der Aggressoren stehen.

Ist das nicht eine sehr verrückte Vorstellung?

Es ist doch umgekehrt, man flieht dahin wo die geringste Gefahr droht, wo man sich am sichersten fühlt. Wo keine Gefahr besteht, dass die Alten, Frauen und Kinder zu Geiseln werden um die jungen Männer zu Kanonenfutter der Schlächter und Mordbanden zu machen. Wo keine Gefahr besteht, dass minderjährige Mädchen entführt und zu Sexsklavinnen der perversen Terroristen gefoltert werden.

Wer die Flüchtlinge an der Flucht nach Europa hindert, der erhöht den Druck in den Lagern in den Grenzgebieten, damit wird die Flucht weiterer Menschen aus den Kriegsgebieten behindert.

Das ist wie Dominosteine fallen lassen, damit hat man dann am Ende Zivilisten, die in die Kampfzonen fallen und dort bleiben müssen, ohne Ausweg, mit dem Rücken zur Wand, zur Granatsplitter-gespickten Tapete.

Damit gibt man ISIS Druck- und Machtmittel in die Hand, fördert Kollateralschäden in Form toter Familien und damit schafft man die Rekrutierungsbasis des IS. Jeder zurückgewiesene Flüchtling ist in dieser Kausalkette ein in die Kampfzone verbannter Zivilist, ist damit eine Unterstützung für ISIS.

Wir sind nicht verantwortlich für den Ausbruch des Krieges.

Wenn wir aber ISIS die Machtbasis, die zivilen Geiseln vor Ort, überlassen – absichtlich, willentlich – egal ob durch Obergrenzen, Zäune oder Tageskontingente, dann sind wir für den Fortgang des Krieges mitverantwortlich.

Wir verlängern den Konflikt und sorgen so dafür, dass Flüchtlinge an ihren Aufenthaltsorten Wurzeln schlagen, es schwerer haben zurückzukehren, wenn der Konflikt endet. Wir vergrößern damit die Probleme eines zukünftigen zivilen Rechtsstaats Syrien und auch die Integrationsanforderungen in Deutschland werden durch die sesshaft gewordenen Flüchtlinge steigen. Aus Flüchtlingen werden durch lange Konflikte Migranten.

Würden alle europäischen Staaten mehrere Millionen Syrer aufnehmen, würde der Konflikt zusammenbrechen und fast alle Vertriebenen würden wieder in ein friedliches Land zurückkehren können. In ein Land mit Perspektiven, ein Syrien mit Zukunft.

Ja, Europa ist verantwortlich. Europa ist schuld wenn der Krieg länger dauert. Europa ist schuld wenn es keine Rückkehrperspektive gibt.

Weil die Flüchtlingsströme Ströme sind und in geschlossenen Systemen Druck entsteht. Flüchtlinge sind keine Zahlen auf Papier, sie sind lebende Menschen, physikalische Objekte, die Raum einnehmen, Raum brauchen und die sich stauen können, zurückstauen können, bis hin zu den blutigen Händen und Schwertern der wahnhaften Kalifatskrieger. Wer hier den ersten in der Reihe zurückschubst, der sorgt dafür, dass der letzte in der Schlange einen grausamen Tod stirbt.

Wer die Grenzen für Kriegsflüchtlinge schließt ist heute so an tausendfachem Tod schuld, wie es die Schweizer vor fast 80 Jahren waren, die mit ihren geschlossenen Grenzen Tausende Juden zum Tod in  der Gaskammer verurteilt hatten.

Eine Schuld, die nie getilgt werden wird. So wie die Hände der Schweizer heute noch blutig sind und der Name ihres damaligen Bundesrates Eduard von Steiger für ihre nationale Schande steht, so werden die Namen von Orban und seinen Gesinnungsgenossen zukünftig für Schande und Komplizenschaft mit den Verbrechern gegen die Menschlichkeit stehen, die unter dem Deckmantel einer Religion ihre Greueltaten begehen.