Im Strom der vielen Wahlkampfmaterialien, die in diesen Tagen über uns Wahlvolk in Deutschland hereinbrechen, fiel mir ein Plakat besonders auf. „Du bist kein Untertan“, von der Piratenpartei in Thüringen.

Zuerst fand ich es einfach prägnant, witzig und die Metaebene mit der Anspielung auf den Roman von Heinrich Mann fand ich in Zeiten von #prismgate auch passend. Dann wollte ich den das Plakat auf Google+ teilen und weil ich beim Teilen auch immer einen kurzen Teaser- und Erklärtext für meine ausländischen Follower in Englisch anfüge hatte ich plötzlich ein Problem, das sich zu einer größeren Frage über politische Philosophien und grundlegende Unterschiede von Gesellschaften auswuchs.

Den Slogan einfach zu übersetzen und auf die Piratenpartei zu verweisen hätte zu „You are no subject“ geführt und das wäre sowohl inhaltlich falsch gewesen, als auch eine Umkehrung der Bedeutung im ganzen Kontext von Piratenpartei und politischer Lage des Jahres 2013.

„You are no object“, macht es noch schlimmer. Diese Formulierung nähert sich zwar dem Kontext, lässt aber den ganzen historischen Hintergrund des Begriffs „Untertan“ außen vor und beraubt damit den Slogan seiner impliziten Vorgeschichte. An diesem Punkt wurde mir klar, dass es so etwas wie einen Untertan im englischsprachigen Raum gar nicht gibt und deshalb auch kein Wort dafür. Schon eigenartig und bemerkenswert, wie weit das deutsche und angelsächsische Denken an dieser Stelle auseinander liegt und sich der Unterschied gleichzeitig so schlicht in der Sprache zum Ausdruck bringt.

„You are no subservient“ wäre ein möglicher Ansatz, im Versuch das Adjektiv zum Substantiv zu machen könnte es sich der Bedeutung von Untertan annähern. Aber genauso wie subordinate oder obedient beschreibt es eine Unterordnung, die bezahlt und honoriert wird, den Charakter einer Partnerschaft hat. Ein Aspekt, der gerade beim Untertan fehlt. Da bin ich dann bei „submissive“ gelandet, aber die Aufladung dieses Begriffes aus dem erotischen Bereich ist einfach zu stark. Es geht bei Politik und Bürgerrechte, zwar auch um Schattierungen von Grau, aber in ganz anderer Bedeutung. Untertänigkeit verschafft keinen Lustgewinn.

Aber das Problem hatten schon die Übersetzer des Mann-Romans. „You are no Man of Straw“ würde gar keinen Sinn machen und allenfalls die Referenz auf das Buch transportieren. „Your are no Loyal Subject“ oder „You are no Patrioteer“ würden den Sinn komplett zerstören, einen rechtslastigen Slogan erzeugen und an dieser Stelle offenbart sich das Denken der Mann-Übersetzer und ihrer Zeit.

An dieser Stelle wird mir bewusst welches Ausmaß an Neo-Wilhelminismus und Neo-Biedermeier offensichtlich wird, dadurch dass „Du bist kein Untertan“ immer noch eine aktuelle Aussage ist, die getroffen werden muss. Dieser Slogan beschreibt keine Selbstverständlichkeit, sondern einen Anspruch für den man noch kämpfen und einstehen muss.

Kann man den Slogan deshalb nur vollkommen frei übersetzen, auf den Begriff des Leibeigenen zurückgreifen, auf eine längst vergangen geglaubt Zeit, die anscheinend gar nicht so vergangen ist. Da wäre der „slave“ nicht passend, aber der „serf“ käme dem Ausmaß an Unterordnung nahe, obwohl sie in seinem Fall nicht freiwillig erfolgt. Kann ich den Bogen zu den NeoCons und Hayek spannen und „No road to serfdom“ verwenden? An dieser Stelle hatte ich das Nachdenken schon lange ins Netz getragen und eine Diskussion begonnen, in der die obigen Aspekte reflektiert wurden.

Und der Leibeigenen-Charakter fand Widerhall. Vorschläge wie „Don’t become a serf“ oder „Don’t get owned“ folgten und verschärften die Aussage noch. Und in dieser Sicht wird deutlich, welches Ausmaß an freiwilliger Unterordnung gegenüber Prism, Tempora und all den anderen Spähprogrammen unsere Gesellschaft gerade zeigt. Zur gleichen Zeit ist die Entrüstung über einen Veggie-Day-Vorschlag oder den möglichen Strompreis im Jahr 2020 um ein Mehrfaches heftiger. Sind wir schon wieder ein Volk von Untertanen? Erniedrigen wir uns selbst? Es scheint so und der Anschein zählt, wenn man den Zustand einer Gesellschaft beurteilt. Spätestens jetzt gebe ich den Gedanken an eine Übersetzung auf, stattdessen entsteht dieser Beitrag. Und ich sehe ein Licht geworfen auf die Zustände und Vorgänge, die ich kritisiere. Durch einen simplen Satz, wie er nur in Deutschland gesagt und geschrieben werden kann.

Denn unsere Gesellschaft ist nicht was sie gerne sein möchte oder wie sie sich selbst vorstellt, nicht wie sie sich proklamiert oder in den Medien darstellt, sie ist wie sie im Alltag erscheint und wie sie auf die Herausforderungen des Weltenlaufs reagiert, sie ist wie sie den Zeitgeist spiegelt oder eben sich zurückzieht und Ignoranz und Gleichgültigkeit pflegt. Deshalb ist dieser Piraten-Slogan eine starke Aussage zur unausgesprochenen Frage an uns: „Bist Du ein Untertan?“

Die Antwort der Piraten sollte jeder demokratische Politiker nicht nur geben, sondern zum Teil seines Denkens und Handelns machen.

„Ich bin kein Untertan!“

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