In Mainz hat sich Ende dieser Woche der Bundesvorstand der CDU zur Klausurtagung getroffen und die so genannte „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Eine Positionsbestimmung in Zeiten des Wandels, der Krisen und Kriege und des gesellschaftlichen Umbruchs. Wir stehen an der Schranke zum globalen Dorf, dem Paradigmenwechsel weg von eine Industrie- und Informationsgesellschaft basierend auf Rohstoffen, menschlicher Arbeit und Kreativität hin zu einer Welt gleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen, in der klassische Rohstoffe und menschliche Produktivität keine Rolle mehr spielen.

Gibt die „Mainzer Erklärung“ darauf eine Antwort? Macht sie einen Schritt in die Zukunft oder bewegt sie sich nur im hier und jetzt?

Wortlaut der „MainzerErklärung“

Im Großen und Ganzen ist es ein Weder-noch, ein Verbleiben im Ungefähren und Alltäglichen. Aber in manchen Punkten ist es sogar eine Absage an die Zukunftsfähigkeit und die Werte unserer Republik.

1. Innovationen sind Wachstumsmotor und Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklung; hierfür ist Deutschland gut gerüstet.

Die Befriedigung über die Fortschritte bei der Entwicklung der Hochschulwelt vernachlässigt die Defizite bei der Bildung der 4- bis 14-Jährigen, die überdurchschnittlich hohe Abwanderung akademisch gebildeter Bürger und die weiterhin geringe Quote der Bildungsausgaben am BIP.
Und die Aussagen zur Entwicklung des Internet sind gelinde gesagt ein Witz. Keine Initiativen zum Terabit-LAN, eine unterdurchschnittliche Infrastruktur und ein verstärktes Abhängen des ländlichen Raumes sind die Realität. Gerade für die traditionelle Klientel der CDU, den Mittelstand und die Bauernschaft, ist das eine betrübliche Aussicht.
Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland noch viel tun muss.

2. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt ist eine wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.

Auch hier wird auf Datenschutz und IT-Technologie verengt. Marktvereinheitlichungen, die eine Sebstverständlichkeit sind und bereits beschlossene Realität. Von Vereinheitlichung der Sozialsysteme, gleichem Arbeitsrecht, Vereinheitlichung der Steuertarife und gemeinsame Einführung einer Transaktionssteuer kein Wort.

Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland noch viel tun muss. Sehr viel.

3. Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes sind motivierte und engagierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Auch hier nur eine Positionsbestimmung. Die Errungenschaft des flächendeckenden Mindestlohns und seine wichtige Wirkung in der Verhinderung verdeckter und indirekter Subventionen und die Stärkung der Marktgerechtigkeit wird ausgespart. Dass seine ständige Erhöhung und Anpassung ein wichtiges Instrument zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts ist, wird ignoriert.

Die Entwicklung weg von menschlichen Denk- und Arbeitsleistungen hin zur Cyberproduktion sind unübersehbar. Am Ende dieser Entwicklung wird eine Welt stehen in der Dienstleistungen, Produktion und auch Forschung und Entwicklung nicht mehr von Menschen erbracht werden. Dafür gilt es jetzt die ersten Schritte zu machen. Als führende Wirtschaftsnation des Kontinents und vielleicht auch des ganzen Planeten hat Deutschland die Verpflichtung hier genauso wegweisen zu sein, wie es bei den Erneuerbaren Energien war.

Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland noch viel tun muss. Sehr viel. Und mit einem weiten Blick in die Zukunft.

4. Mit allem Nachdruck sagen wir Ja zum Transatlantischen Freihandelsabkommen.

Mit Verlaub, Ja zu einem Abkommen, das noch nicht im Ganzen oder im Detail bekannt ist? Sogar mit Nachdruck? Ein Bekenntnis ins Blaue? Und als Begründung: „Dieses Abkommen bietet die Chance, einen Ordnungsrahmen für den weltweiten Handel zu gestalten.“ Wobei weite Teile der bis jetzt bekannt gewordenen Vertragsbestandteile nicht den Handel betreffen, sondern Investitionen, Normen und Standards und die allgemeine bilaterale Schiedsgerichtsbarkeit weit über den Handel hinaus.

Ein Minimum wäre gewesen, das Abkommen als „Transatlantische Ökonomische Deregulation“ zu bezeichnen. Sich zum Paradigma zu bekennen, dass die Vereinheitlichung durch Umsetzung der jeweils schärfsten Vorschriften erfolgt, statt den kleinsten gemeinsamen Nenner abzunicken.

Und dabei zu ignorieren, dass es seit Jahrzehnten einen freien und unbehinderten Handel zwischen der EU und Nordamerika gibt, der durch weltweite Normen (ISO) wunderbar und reibungsfrei ermöglicht wird.

Die wichtigsten Unterschiede, die es zu lösen gilt, eine gemeinsame transatlantische Verpflichtung zum metrischen System, ein Abkehr der USA vom Case-Law-Prinzip beim transatlantischen Handel und eine Vereinheitlichung der Gesetze in den USA um die Gesetzesvielfalt der Einzelstaaten abzulösen (Stichwort Model Penal Code), sind nicht Bestandteil von TTIP, zumindest nicht öffentlich.

Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland und die EU noch viel tun müssen. Sehr viel. Und mit einem weiten Blick in die Zukunft. Und die Gelegenheit beim Schopf packen und die tiefgreifenden Probleme angehen.

Für Zusammenhalt.

5. Zusammenhalt braucht es ganz besonders, wenn die Integration der Flüchtlinge gelingen soll.

Hier nimmt sich der CDU-Vorstand der aktuellen Situation an und vermeidet auch das F-Wort nicht. Hier begibt man sich auf das populistische Glatteis. „So wird es gelingen, die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu reduzieren. Das wollen wir erreichen, …“ ist eine klare Absage an die Notwendigkeit die Flüchtlinge als Chance für vermehrte Zuwanderung zu sehen.

Angesichts einer dreiviertel Million Auswanderer jedes Jahr sind eine Million Flüchtlinge oder Asylbewerber keine bedenkliche Zahl, eher eine zu kleine Zahl und ein erfreulicher Pool an möglichen Zuwanderern. Kein Wort über die größte Chance dieses Zulaufs für unser Land, den Schatz an Kindern und zukünftigem Nachwuchs, der unsere Demografie restaurieren kann.

Die seriösen Wissenschaftler und jeder, der grundlegende Algebra beherrscht, sind genauso wie die Fachabteilungen der UN zur Erkenntnis gekommen, dass Deutschland in den nächsten Jahren um die 10 Millionen Zuwanderer braucht um nicht nur die voraussichtlich 8 Millionen Auswanderer zu kompensieren, sondern um auch die Rente mit 72 und die Unbezahlbarkeit der Sozialsysteme abzuwenden. Das drohende Altersprekariat für die derzeitige Arbeitsgeneration würde sonst die Abwanderung noch verstärken und kein Bundeskanzler der Zukunft sollte gezwungen sein zu erklären, dass er nicht die Absicht hat eine Mauer zu bauen. Wer heute Zuwanderung verhindern will, der wird sie für die Zukunft entweder noch viel unkontrollierter zulassen müssen oder die Freizügigkeit einschränken, zur Erbuntertänigkeit aus Feudal- und DDR-Zeiten zurückkehren. Der Mensch als Eigentum des Staates. Das ist eine ernste Lage, bedenkliche Aussichten und die Lösung steht an den Grenzzäunen.

Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland noch viel tun muss. Sehr viel. Und mit einem weiten Blick in die Zukunft. Und die Gelegenheit beim Schopf packen und die tiefgreifenden Probleme angehen. Den Bürgern dazu eine klare Ansage machen.

6. Familien sind das Fundament unserer Gesellschaft.

Dann sollte auch eine Perspektive gezeigt werden, wie man die Wertschätzung der Familiengründung stärkt und das Selbstwertgefühl junger Eltern anhebt.

Geld ist dabei nur eine Nebensache. Kinder zu bekommen kein Geschäft, auch nicht mit der Gesellschaft oder mit dem Staat.

Hier kann sich selbst auf die Schulter klopfen nicht verbergen, dass wir erst am Anfang stehen und Deutschland noch viel tun muss. Sehr viel. Und mit einem weiten Blick in die Zukunft. Und die Gelegenheit beim Schopf packen und die tiefgreifenden Probleme angehen. Den Bürgern dazu eine klare Ansage machen. Und das Gefühl zu geben, dass es um eine wichtige Sache geht, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen.

7. Zusammenhalt ist in unserem Land geprägt von millionenfachem ehrenamtlichen Engagement.

Hier gilt einfach das im vorherigen Punkt gesagte. Der Dank und die Ehrerbietung gegenüber den Ehrenamtlichen braucht die selbe emotionale und moralische Anerkennung. Nicht nur Geld und materielle Zuwendungen.

8. Starke und handlungsfähige Kommunen leisten einen zentralen Beitrag für den Zusammenhalt in Deutschland

Auch hier wieder steht das Geld im Vordergrund. Von der Bedeutung und Vertiefung des Subsidiaritätsprinzips ist keine Rede mehr. Und auf die Verschiebungen und Wanderungsbewegungen vom ländlichen Raum in die Städte wird nur reagiert. Kein Ansatz zur Gegensteuerung, keine Steigerung der Attraktivität des Landes zu Lasten der Städte. Kein Wort zu entsprechenden Verkehrskonzepten oder dem Ausbau der stadtfernen Infrastruktur. Medizinische Vollversorgung, Terabit-Internet und viele andere Bausteine könnten dem Land wieder ein Plus an Attraktivität geben. Gerade die Mobilität der Zuwanderer könnte damit ausgenutzt werden. Auch hier wird nicht mit offenen Karten gespielt, sondern beschwichtigt.

Für Sicherheit.

9. Wir verurteilen die widerwärtigen Übergriffe und Attacken in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten.

Abgesehen davon, dass die Geschehnisse in der Silvesternacht nichts neues sind, täglich im Durchschnitt über ein Dutzend Frauen nicht nur sexuell genötigt, sondern vergewaltigt werden, ist das eine stark verengte Sichtweise des Problems.

Und die Sicherheitskräfte bauchen nicht andere Mittel, nicht mehr Überwachung oder neue Techniken, sondern schlicht mehr Personal, gut ausgebildetes Personal und nochmal mehr Personal. Und wir brauchen eine andere gesellschaftliche Einstellung gegenüber sexistischen Übergriffen und sexueller Nötigung. Das sind keine Nebensächlichkeiten, keine Bagatellen – nur der Begriff Kavaliersdelikt trifft zu. Die Täter sind tatsächlich Kavaliere der alten Schule. Kavaliere – Männer, die sich für bevorrechtigt und etwas besseres halten.

Dazu habe ich mich bereits umfassend in einem anderen Blog-Beitrag diese Woche geäußert.

Und wenn die Eigenschaft Asylbewerber zu sein eine Jail-free-Karte darstellen wird, dann ist das ein Anschlag auf unser Rechtssystem, auf die Basis unserer nationalen Identität.

10. Die Unterstützer des islamistischen Terrorismus dürfen in unserem Land keinen Vorbereitungs- oder Rückzugsraum finden.

Abgesehen von der Aussage, dass andere Formen des Terrorismus anders behandelt werden, ist das ein Allgemeinplatz. Terrorismus ist kriminell. Er findet bandenmäßig statt. Einzeltäter sind Amokläufer. Bandenmäßige und organisierte Kriminalität ist seit vielen Jahren bereits durch zusätzliche Gesetze einer Sonderbehandlung unterworfen, die bereits Grundrechtseingriffe und erweiterte Befugnisse für die Ermittlungsbehörden mit sich bringt.

Es handelt sich bei dieser „Mainzer Erklärung“ um ein Stück Beschwichtigungs- und Betroffenheits-Programmatik für die Tagespolitik. Gegenüber möglichen Adressaten unter den besorgten Bürgern wird sie wirkungslos bleiben. Rechtschaffene und politische interessierte Bürger wird sie eher ratlos zurücklassen. Und die ignoranten Mitmenschen werden nichts von ihrere Existenz erfahren. Und am Schlimmsten, mit der Vermeidung klarer Ansagen und Zielsetzungen für die nächsten Jahrzehnte legt sie den Grundstein, dass morgen weitere Menschen aus Unklarheit Besorgnis entwickeln und sich aus dem demokratischen Diskurs verabschieden.

Deutschland braucht klare Ansagen. Offen und ehrlich. Mit Nennung der großen langfristigen Probleme. Das große Bild muss gezeichnet werden, nicht sich im Klein-klein verlieren.

Eine programmatische Erklärung der wichtigsten Regierungspartei sollte diese Probleme offen benennen, sie erklären und beabsichtigte Lösungen argumentativ stützen. Nicht die größten Probleme wie Klima-Wandel, ökonomischen Paradigmen-Wandel und weltweite Wanderungsbewegung aussparen. Wer heute Öl auf die Wogen gießt, darf sich nicht wundern, wenn dieses Öl irgendwann ein Feuer speist.

Deutschland ist ein aufgeklärtes Land, dessen Bürger sich in der Mehrzahl der Probleme und Herausforderungen bewusst sind. In der die Mehrheit des Gesellschaft besonnen, tolerant und zukunftsfroh agiert. Wir Bürger sind keine unmündigen Kinder, denen man Beschwichtigungen auftischen muss, um sie nicht zu beunruhigen. Diese Mehrheit gilt es in ihren Gedanken zu unterstützen. Den Randgruppen gilt es die Argumente für das Handeln der Mehrheit zu erklären. Warum es wichtig ist sich der Zukunft zuzuwenden und sich ihr zu öffnen. Warum es gefährlich ist eine gute, alte Zeit zu beschwören. Und es gilt eine Aufforderung an die Verunsicherten und Besorgten auszusprechen, sich mit diesen Argumenten auseinander zu setzen und sich wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Zum Vorteil aller. Mit Solidarität. Dann schaffen wir es mit allen Problemen fertig zu werden.